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Projekt DASH: Ein Treffen in Aalborg

Von 21. bis 23. August fand ein Treffen aller Partnergruppen des Projektes DASH in dänischer Stadt Aalborg statt.

Der Verein INWOLE und das Wohnprojekt Projekthaus Potsdam-Babelsberg nehmen seit diesem Jahr in einem neuen Projekt teil. Das Projekt heißt "DASH" – Deliver sAfe and Social Housing – und bringt im Rahmen von EU Programm Horizon Partnergruppen aus vier Ländern zusammen, die sich mit dem Thema eines sicheren, sozialen und nachhaltigen Wohnens auseinandersetzen. An dem Projekt beteiligten sich jeweils drei Arten von Einrichtungen - Stadtverwaltung, Universität und/oder Forschungsinstitut und Wohnungsgenossenschaft und/oder Wohnprojekt – aus Deutschland, Portugal, Dänemark und Serbien.


Teilnehmende Einrichtungen aus Deutschland sind Stadtverwaltung Tübingen, Universität Stuttgart und INWOLE e.V. und Projekthaus Potsdam-Babelsberg.


Eine erste Zusammenkunft aller Teilnehmenden fand gerade vorletzte Woche in Dänemark statt, wo unsere GastgeberInnen die Stadtverwaltung von Aalborg, Wohnungsgenossenschaft Himmerland, als auch Universitäten Aalborg und Kopenahagen waren.


Im Rahmen eines dreitägigen Treffens haben wir sehr gute Einblicke in Geschichte und Gegenwart der Stadtentwicklung der Stadt Aalborg bekommen, vor allem über Transition von einer klassischen Industriestadt zu einer post-industriellen "Knowledge-City". Es ist sehr beeindruckend, wie eine Stadtentwicklung aussehen kann, wenn verschiedene Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene eine Art Vision haben und dabei Interessen und Bedürfnisse nicht nur der Wirtschaft und verschiedener „Investoren“ (mit oft umstrittener Kapitalherkunft und Ambitionen), sondern auch vielfältiger Bevölkerungsgruppen wirklich wahrnimmt und mit einem Blick in die Zukunft Pläne entwickelt. Denn im Vergleich mit Potsdam und vielen anderen Städten in Deutschland, sind die besten Locations in der Stadt – wie z.B. Aalborg Waterfront – nicht für kleine gated communities oder sinnlose Protzbauten, sondern für öffentliche Plätze, Kultureinrichtungen und sogar Studentenwohnheime vorgesehen. Also Studentenwohnheim statt Stadtschloss – es gibt auch sowas auf dieser Welt!


Schwerpunkt unseres Treffens lag vor allem auf einem sozialen Wohnungsbau. Und dank unseren GastgeberInnen haben wir verschiedene Wohnprojekte in verschiedenen Stadtteilen besichtigt, wo wir uns sowohl die Lage, als auch mehrere Gebäude und Einzelwohnungen angeschaut und einen besseren Einblick ins System eines sozialen Wohnungsbau, einschließlich Baustandard und Qualität bekommen haben. Und diese sind ziemlich hoch, überraschend hoch sogar, weil das, was in Dänemark als Standard für einen sozialen Bau gilt, würde in Deutschland als Luxusqualität vermarktet. Tatsächlich liegt Dänemark in manchem Hinsicht offensichtlich Lichtjahre von Deutschland entfernt!


Insbesondere im Stadtteil Aalborg-Ost hat man einen guten Einblick bekommen können, wie eine umfangreiche Stadtentwicklung aussieht und was Wohnungsgenossenschaften im Stande sind zu tun, wenn die kommunale Politik viel Wert auf soziale Gerechtigkeit legt und im Sinne von Stadtentwicklung ein größeres Bild vor Augen hat. Denn der ganze Stadtteil (mit mehreren Tausend BewohnerInnen) ist von der WG Himmerland entwickelt und überwiegend gebaut, und immer wieder saniert und verbessert. Einige Grundstücke sind Privatinvestoren überlassen, und sie haben einige Gebäudekomplexe gebaut, wodurch eine ziemlich gute soziale Mischung im Stadtteil entstanden ist. Der Stadtteil besteht überwiegend aus drei- oder vierstöckigen Gebäude, und es gibt ca. 30 verschiedenen Profile der Wohnungsbau, vor allem als 2-, 3- oder 4-Zimmer Wohneinheiten. Jedes Gebäude verfügt mit vielfältigen innovativen Lösungen für mehr Nachhaltigkeit (Solar und Recycling-Anlagen, digitale Steuerung und Überwachung des Energieverbrauchs u.Ä.) und mehr sozialer Zusammenkunft. Denn mitten in diesem Stadtteil findet man ein Gesundheitszentrum mit vielen anderen Inhalten, die Leute aus der Nachbarschaft zusammenbringen, als auch ein Kulturzentrum mit eigener Bibliothek, Werkstätten und einem hochmodernen FabLab. Wie weit bei der Planung gedacht wird, zeigt das Beispiel Fürsorge für Senioren: Fast alle SeniorInnen wohnen auf Dachetagen jedes Gebäudes, wo sie sowohl in Einzelwohnungen, als auch in WGs untergebracht sind. Darüber hinaus sind einige Gemeinschaftsräume auf dieser Etage gebaut und Dachgeschosse vieler Gebäude sind mit Brücken miteinander verbunden, sodass SeniorInnen problemlos von einem zu anderen Gebäude gelangen und sich gegenseitig besuchen können. Im Stadtteil sind (für Dänemark selbstverständlich) viele Fahrradwege gebaut, kleine Grünanlagen und öffentliche Plätze, die auch durch einen autonom fahrenden E-Bus miteinander verbunden sind. Es besteht kein Zweifel daran, sowohl technische, als auch soziale Innovationen sind ein von Merkmalen Dänemarks.


Wenn man schon von sozialer Nachhaltigkeit und Innovation spricht, muss man unbedingt Beteiligung der BewohnerInnen an Entscheidungsprozessen erwähnen. Sogenannte Tenant Democracy ist eine Form der direkten Demokratie und stellt ein Standard mit langer Tradition in Dänemark dar. Alle BewohnerInnen nehmen an einem Demokratieprozess auf ganz niedrigschwellige Weise teil: sie wählen eigene Räte der BewohnerInnen, die jedes Gebäude und jeden Gebäudekomplex vertreten und mit viel Macht verfügen, was die Gestaltung, Alltagsgeschäfte, Entscheidungen usw. betrifft. Und diese sind Ansprechpartner für kommunale Verwaltung und Politik, aber auch haben gewissen (nicht zu unterschätzenden!) Einfluss auf regionaler und sogar nationaler Ebene! Diese Art Selbstverwaltung ist gut konzipiert, ziemlich effizient organisiert und vor allem hat eine sehr ermächtigende Wirkung auf breite Schichten der Bevölkerung.


Es gibt natürlich gewisse Schattenseiten in diesem schönen sozialdemokratischen Paradies, und das ist die Tatsache, dass dänischer Wohlfahrtsstaat, milde ausgedrückt, gewisser Übertreibung neigt, vor allem was Sammeln vielfältiger Daten über BürgerInnen und Steuerung vielfältiger Gesellschaftsprozesse betrifft. Zum Beispiel, Begriffe wie „vernachlässigter Stadtteil“ und „parallel-Gesellschaft“ kennt man auch aus Deutschland, vor allem als viel-und-nichts-bedeutende Buzzwords konservativer und reaktionärer Politiker, die überwiegend in Talk-Shows im Umlauf zu finden sind. In Dänemark sind das aber keine leere Phrasen, sondern offizielle Einstufungen der Siedlungen und Stadtteile, die auf einer ganzen Reihe Informationen über BürgerInnen beruhen und ganz reale Konsequenzen für ihre Leben haben oder haben könnten. Denn um so eine Einstufung umsetzen zu können, bräuchte man eine Menge Daten über eigene Bürger, die dann auf verschiedene Kategorien aufgeteilt, regelmäßig aktualisiert, miteinander verglichen und analysiert, bewertet und danach auch in vielfältige praktischen Eingriffe und policies übersetzt werden. Und in Dänemark verfügt der Staat offensichtlich mit solchen Mechanismen, dies tatsächlich zu tun, und scheut nicht davon, Erkenntnisse aus solchen Analysen dann auch anzuwenden. Dieses Erkenntnis hat bei vielen von uns (die nicht aus Dänemark kommen) und vor allem bei deutschen Teilnehmenden, ein gewisses Gefühl des Unbehagens hinterlassen. Denn das ganze Konzept ist ziemlich problematisch, sowohl theoretisch, als auch praktisch, es ist ideologisch sehr aufgeladen und auch in Dänemark sehr umstritten. Darüber hinaus stellt sich tatsächlich die Frage, wo ist die Grenze des staatlichen Eingreifens und wie kann man sicher sein, dass der Staat eigene Macht nicht missbraucht und gegen eigene BürgerInnen, oder ganz besondere Bevölkerungsgruppen anwendet? In Dänemark vertraut man dem Staat immer noch, würde ich sagen, wenn auch nicht ganz. In Deutschland wäre es besser, wenn man dem Staat gar nicht vertraut. Oder wie die tolle deutsche Redewendung sagt, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, und das sollte desto mehr für den Staat und sein (oft) undurchschaubares Handeln gelten.


Das Treffen in Aalborg war also in vieler Hinsicht erkenntnisreich und inspirativ, und stellte eine hervorragende Gelegenheit dar, sowohl tiefe Einblicke ins komplexe Thema einer nachhaltigen Stadtentwicklung und sozialer Wohnungsbau bekommen zu können, als auch tolle neue Partnereinrichtungen und viele interessante Menschen kennenzulernen und unser Partnernetzwerk zu erweitern!


Deshalb freuen wir uns sehr, wenn das Projekt weitergeht, und wir uns alle ein nächstes Mal im Jahr 2024 in Portugal treffen!

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